Nach der Sex-Welle der 60er, 70er und 80er Jahre werden wir derzeit von einer exzessiven Narzissmus-Welle überrollt.

 

Unsere moderne Individualgesellschaft wäre nicht denkbar ohne diesen einen ganz speziellen Trieb: Den Trieb zur Selbstentfaltung und zur Selbstdarstellung. Freud nannte diesen Trieb "Narzissmus".

 

Unser narzisstisches Verlangen nach Selbstentfaltung müssen wir allerdings genauso zügeln und in die Schranken weisen wie wir es mit unserem Sexualtrieb praktizieren.

 

Genau daran mangelt es jedoch in unserer heutigen Gesellschaft.

 

Darüber müssen wir reden. Dringend. Doch dazu sollten wir uns zuerst ein wenig informieren.

 

12 verblüffende Fragen und Antworten zum letzten großen Tabu-Thema unserer Zeit

 

  1. Wussten Sie, dass Narzissmus das letzte große Tabu-Thema unserer Zeit ist? Obwohl uns narzisstisch motivierte Akte auf Schritt und Tritt begegnen und die narzisstischen Bedürfnisse und Triebhandlungen Blüten über Blüten treiben, redet niemand darüber. Das ist das sicherste Anzeichen dafür, dass dieses Thema von allen Schichten unserer Gesellschaft tabuisiert wird.


  2. Narzissmus wird zumeist mit übertriebener, ja krankhafter Selbstverliebtheit in Verbindung gebracht. Ist Ihnen jedoch bekannt, dass unter dem Begriff Narzissmus noch weit mehr zu verstehen ist?

    Lesen wir, was der Psychoanalytiker und Sozialphilosoph Erich Fromm hierzu zu sagen hat:

    "Der Narzissmus ist eine Leidenschaft von einer Intensität, die bei vielen Menschen nur mit dem Geschlechts- und Selbsterhaltungstrieb zu vergleichen ist. Häufig erweist sie sich sogar stärker als diese beiden Triebe. Selbst beim Durchschnittsmenschen, bei dem der Narzissmus eine solche Intensität nicht erreicht, bleibt noch ein narzisstischer Kern bestehen, der fast unzerstörbar zu sein scheint.

    Wenn dies zutrifft, können wir vermuten, dass die narzisstische Leidenschaft genau wie der Geschlechts- und Selbsterhaltungstrieb ebenfalls eine wichtige biologische Funktion hat.

    Sobald man diese Frage stellt, ergibt sich auch schon die Antwort. Wie könnte der einzelne Mensch überleben, wenn seine körperlichen Bedürfnisse, seine Interessen, seine Wünsche nicht mit einer
    starken Energie
    geladen wären?

    Biologisch, vom Gesichtspunkt des Überlebens aus muss der Mensch sich selbst weit wichtiger nehmen als irgendjemand sonst. Täte er dies nicht, woher nähme er dann die Energie und den Willen, sich gegen andere zur Wehr zu setzen, für seinen Unterhalt zu arbeiten, um sein Leben zu kämpfen und sich gegen seine Umwelt durchzusetzen?

    Ohne Narzissmus wäre er vielleicht ein Heiliger – aber haben Heilige tatsächlich eine hohe Überlebenschance? Was vom religiös-spirituellen Standpunkt aus höchst wünschenswert wäre       – dass es keinen Narzissmus gäbe – wäre vom weltlichen Standpunkt der Erhaltung des Lebens aus höchst gefährlich.

    Teleologisch (
    d.h. zielgerichtet) gesehen heißt das, dass die Natur den Menschen mit seinem erheblichen Maß an Narzissmus ausstatten musste, um ihm die Möglichkeit zu geben zu überleben..."

    Zitat aus dem Werk von Erich Fromm: "Die Seele des Menschen; Ihre Fähigkeit zum Guten und zum Bösen.


  3. Über unseren Selbsterhaltungstrieb und über unseren Sexualtrieb wissen wir inzwischen ja hinreichend Bescheid. Doch kennen Sie Ihre persönlichen narzisstischen Bedürfnisse?

    Was, Sie kennen Ihre narzisstischen Bedürfnisse nicht und wissen auch nicht, wie Sie diese befriedigen können? Dann geht es Ihnen wie den meisten Ihrer Mitmenschen. Über unser Sexualleben sind wir inzwischen aufgeklärt, nicht jedoch über unsere narzisstische Bedürfnislage.


  4. Wir Menschen verfügen schon seit jeher über ein narzisstisches Triebpotential. Haben Sie eine Vorstellung darüber, wie wir diesen Trieb in der Vergangenheit ausgelebt haben?

    Nein?

    Das narzisstische Triebpotential wurde in der vorindividualistischen Ära ähnlich wie die Sexualenergie verdrängt. Die narzisstischen Energien durften nicht für eigene, persönliche Zwecke genutzt werden. Sie mussten der Familie, dem Clan, der Gruppe, dem Kollektiv, dem Volk und dem Vaterland zugeführt werden.

    Erich Fromm bringt diese Besonderheit auf folgenden Nenner:

    "Vom Standpunkt einer jeden organisierten Gruppe, die fortbestehen möchte, ist es wichtig, dass die Gruppe von ihren Mitgliedern mit narzisstischer Energie versorgt wird. Der Fortbestand einer Gruppe hängt zu einem gewissen Grad davon ab, dass ihre Mitglieder sie ebenso wichtig oder sogar noch wichtiger nehmen als ihr eigenes Leben, und dass sie außerdem an die Rechtschaffenheit wenn nicht gar Überlegenheit im Vergleich zu anderen glauben. Ohne diese narzisstische Besetzung der Gruppe wäre kaum die für den Dienst an dieser Gruppe notwendige Energie vorhanden, vor allem dann nicht, wenn es Opfer zu bringen gilt."

    Hier haben wir die Erklärung für Rassismus, Nationalismus, Kriege, Ehrenmorde oder den zwielichtigen Kodex von Motorradgangs.

    Inzwischen hat sich dieses Phänomen jedoch nachhaltig verändert. Mit Beginn des Individualisierungsprozesses haben einzelne Mitglieder sozialer Gruppen zunehmend die narzisstische Energie von der Gruppe abgezogen und zur Entwicklung und Entfaltung der eigenen Persönlichkeitsstruktur eingesetzt. Zwischenzeitlich wird im aufgeklärten Westen nahezu die gesamte narzisstische Triebenergie persönlichen Zielen zugeführt.

    Man kann in diesem Zusammenhang vom Ausbruch einer Narzissmus-Welle reden. Nachdem wir in den 60er, 70er und 80er Jahren eine Sex-Welle erlebt haben, ist es nun die narzisstische Triebenergie, die unser gesellschaftliches Leben dominiert.

    Dadurch, dass sie nahezu ausschließlich den eigenen Bedürfnissen und Neigungen zugeführt wird, fehlt die narzisstische Energie jedoch unserem Gemeinwesen. Sie fehlt damit auch unseren Sozialsystemen, die ohne ein Mindestmaß an Versorgung mit narzisstischen Energien auseinander zu fallen drohen.


  5. Wie wirkt sich dies auf unsere politische Landschaft aus?

    Die politischen Parteien verlieren ihre Stammwählerschaft. Die Bürger sind zu sehr mit sich und der Befriedigung ihrer eigenen individuellen Bedürfnisse und Sehnsüchte beschäftigt, als dass sie noch uneigennützig ans Gemeinwohl denken. Auch die Politiker selber frönen mehr dem eigenen Narzissmus, als dem Wohl ihrer Wählerschaft. Das merken die Wähler natürlich und werden wütend.


  6. Wussten Sie, dass es keinen schlimmeren seelischen Schmerz gibt, als den der narzisstischen Kränkung?

    Hatten Sie schon einmal Liebeskummer. Waren Sie schon mal eifersüchtig? Sind Sie schon mal verlassen worden? Wurden Sie jemals abgewiesen, gemobbt, beleidigt oder herabgesetzt? Und? Hat das weh getan? Ja, es hat weh getan. Und zwar fürchterlich.

    Wenn es einen besonderen Grund für Rachegedanken, Mordgelüste, sadistische Folterphantasien und Attentatspläne gibt, dann sind es narzisstische Kränkungen, die dazu den Ausschlag gegeben haben. Dann wurde die eigene Ehre, der persönliche Stolz und damit der individuelle narzisstische Kern oder aber die Ehre der Familie oder des Volkes aufs Empfindlichste verletzt.


  7. Kennen Sie die Wurzeln von Neid, Eifersucht und Missgunst? Es gibt nur eine Wurzel für Neid, Eifersucht und Missgunst: Sie ist in unserem narzisstischen Kern vergraben.

    Unser narzisstischer Kern möchte nämlich nur eins: Sich sagen können, dass wir der beste, der schönste, der beliebteste, der erfolgreichste, der geachtetste und berühmteste Mensch der Welt sind.

    Dieses Ziel werden wir natürlich nie erreichen, doch unser narzisstischer Kern motiviert uns, diesen Status anzustreben.

    Wenn wir Glück haben, dann schaffen wir es wenigstens ein Stück weit. Im schlimmsten Falle haben wir jedoch das Gefühl, ein absoluter Verlierer zu sein. Das weckt unseren Neid, unsere Missgunst und unsere Eifersucht auf all diejenigen, die besser dran sind als wir.


  8. Wussten Sie, dass die Väter unserer modernen Verfassungen dem Narzissmus den allerhöchsten Rang eingeräumt haben?

    "Die Würde des Menschen ist unantastbar."

    So steht es in Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes wie in Granit gemeiselt.

    Der erste Satz der Präambel zur amerikanischen Unabhängigkeitserklärung liest sich folgendermaßen:

    "Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erschaffen wurden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt wurden, worunter Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit sind."

    Eine klare Aussage. Für die Väter unserer Verfassung(en) hat es demnach nichts Wichtigeres gegeben, als die Unverletzlichkeit unseres narzisstischen Kerns an erster Stelle zu garantieren und sein Bedürfnis nach Freiheit und individueller Selbstverwirklichung zu schützen.

    Weshalb war ihnen das so wichtig?

    Obwohl sie dabei sicher nicht an Sigmund Freud oder Erich Fromm gedacht haben, wussten sie instinktiv, dass es nichts Schmerzhafteres und nichts Schlimmeres für unsere Seelen gibt, als in unserem innersten Selbstwertgefühl herabgesetzt und gekränkt zu werden.

    Und wie sieht das in absolutistisch regierten Ländern aus? Da ist individueller Narzissmus verpönt. Die narzisstischen Triebenergien sind bitteschön weiterhin dem Führer, dem Volk, dem Kollektiv oder dem Vaterland zuzuführen.

  9. Was hat eine solche "Umlenkung" narzisstischer Triebenergien in autokratisch regierten Ländern für Konsequenzen? Nun, die "Einsatzfreude" des Einzelnen hält sich in Grenzen.

    Wer gezwungenermaßen seine narzisstische Energie für andere Zwecke als zur eigenen Bedürfnisbefriedigung einsetzen muss, ist nicht gerade besonders hoch motiviert bei dem was er tut.

    Darin ist auch der Grund zu suchen, dass sozialistische und kommunistische Gesellschaftsmodelle immer wieder gescheitert sind. Sie werden auch künftig scheitern. Der Versuch, für alle Menschen gleiche Lebensbedingungen zu schaffen, sie mit denselben wirtschaftlichen und finanziellen Ressourcen auszustatten, ist zwar ehrenwert, jedoch nicht umsetzbar. Unser narzisstischer Kern strebt nämlich nach dem genauen Gegenteil. Er besteht konsequent darauf,
    einmalig sein zu dürfen, frei, unabhängig und individualistisch. Das verträgt sich nicht mit sozialistischer Gleichmacherei.


  10. Ist Ihnen bewusst, wie wichtig die narzisstische Triebenergie für unsere Motivation ist? Wir werden von dieser Energie angestachelt. Aus ihr speist sich unser ganzer Ehrgeiz. Deshalb sind jene Länder wirtschaftlich am erfolgreichsten, in denen die narzisstischen Triebenergien am freiesten fließen können. Allen voran Amerika. Die "Staaten" sind die narzissmusfreundlichste Region schlechthin. Deshalb gibt es auch dort die ausgeprägtesten Eliten. In Sport, Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft.

    Manchmal verwandelt sich Motivation allerdings in Gier. Dann verlieren wir jedes Gespür dafür, wann es genug ist, dem Erfolg, dem Reichtum, der Ehre oder dem Ruhm nachzujagen.


  11. Wussten Sie, dass der Hang zur Befriedigung unserer narzisstischen Bedürfnisse die florierendsten und erfolgreichsten Geschäftsmodelle hervorgebracht hat? Nur so ist der Erfolg von Firmen wie Daimler Benz, wie Porsche, Lamborghini, Ferrari, wie Dior, Gucci, Escada, wie der eines Professor Dr. Werner Mang zu erklären.

    Jeder Friseur und jeder Klamottenladen verdient daran. Wahrscheinlich setzt dieser Wirtschaftszweig von allen gewerblichen und Dienstleistungstätigkeiten am meisten Geld um.


  12. Und nun die letzte Frage: Wussten Sie, dass unserer Gesellschaft durch überzogene narzisstische Triebhandlungen großer Schaden zugefügt wird?

    Natürlich wissen Sie das. Sie erleben dies täglich, wenn Sie erfahren, dass Investmentbanker mit riskanten Finanzmarktprodukten dealen, Provisionen und Bonis in Milliardenhöhe einschieben und so ganz nebenbei die gesamte Finanzwirtschaft an den Rand des Zusammenbruchs bringen. Oder wenn Finanzhaie wie Bernie Madoff das Geld ihrer Kundschaft in die eigene Tasche schieben und damit im Luxus schwelgen.

    Wie sehr man in der Finanzbranche vom eigenen Narzissmus berauscht und getrieben sein kann und dabei jegliches Maß verliert, gibt eine ehemalige Fondsmanagerin in diesem Filmbeitrag preis:

    http://www.youtube.com/watch?v=X-7miE3vKbM&feature=related


    Neid, Eifersucht, Missgunst und Gier sind die Geiseln unserer Zeit. Sie alle lassen sich darauf zurückführen, dass wir unseren Trieb zur Selbstentfaltung und zur Selbstdarstellung hemmungslos ausleben.

    Wie soll man jedoch diese unkontrollierbaren Triebhandlungen zähmen und eindämmen?

    Hier hilft nur Einsicht. Viele Menschen unter uns wollen ihre narzisstischen Bedürfnisse nicht nur ungehemmt ausleben, nein, sie wollen auch vor sich selbst und vor anderen als rechtschaffen und anständig dastehen können.

    Hier nun muss man ansetzen und einfordern, dass sich allesamt um eine Kultivierung unserer Individualgesellschaft bemühen. Wer sich als kultivierter Individualist benimmt und aufführt, der kann auch ein gutes Gewissen haben. Der kann sich zu den Rechtschaffenen und Anständigen zählen.

    Dass das Bedürfnis nach Anstand und gutem Gewissen vorhanden ist, sieht man an all jenen Menschen, die die Atomkraft ablehnen, die sich um den Erhalt unserer Umwelt und unserer natürlicher Ressourcen sorgen und die sich gegen das sinnlose Abschlachten von Walen, Delfinen und Robbenbabys wehren.

    Wir Menschen brauchen einen Sinn, wir brauchen eine neue, eigene Werteskala. Diese speziell für eine narzisstische Gesellschaft zu definieren ist die vordringlichste Aufgabe unserer Eliten. Deshalb brauchen wir zuerst eine Narzissmus- und dann eine Wertedebatte.

 

 


Lesen Sie dazu mein E-Book

"Heute schon deinen Kick gehabt?"

Dort beschreibe ich, wie es gelingen kann, unseren narzisstischen Trieb sozialverträglich auszuleben.