Buch des Monats
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Reinhard Haller: Die Narzissmusfalle

Anleitung zur Menschen- und Selbsterkenntnis

Nachdem Psychiater und Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz mit seinem Buch „Die narzisstische Gesellschaft“ bereits dieses Thema aufgegriffen hat, ist ihm nun Reinhard Haller mit seinem Werk „Die Narzissmusfalle“ gefolgt.

 

Beide Autoren sind Experten auf ihrem Gebiet. Sie befassen sich mit demselben brandaktuellen Komplex: Den narzisstischen Auswüchsen innerhalb unserer Gesellschaft.

 

Ihr Befund ist erschreckend eindeutig: Der Trend zur Eigenliebe, zum Egoismus, zur Egozentrik und damit zu einer lieblosen, unsolidarischen und auf sich selbst fixierten Gesellschaft wird immer stärker. Als Analytiker und Therapeuten können Maaz und Haller dies anhand einer Vielzahl von Fällen und Beispielen dokumentieren. Das macht ihre Bücher leicht verständlich und gut lesbar.

 

Einen wichtigen Kritikpunkt kann ich beiden Autoren jedoch nicht ersparen: Das Hauptaugenmerk ihrer Abhandlungen zielt darauf, Narzissmus als eine Form von Persönlichkeitsstörung darzustellen. Was sicher richtig ist. Dass es sich beim Narzissmus jedoch auch um einen Trieb handelt, der laut Freud zu einem von drei archaischen Urtrieben gehört, nämlich dem Selbsterhaltungstrieb, dem Sexualtrieb und eben dem narzisstischen Trieb, wurde bedauerlicherweise kaum erwähnt.

 

Ich darf an dieser Stelle Erich Fromm wie folgt zitieren:

 

"Der Narzissmus ist eine Leidenschaft von einer Intensität, die bei vielen Menschen nur mit dem Geschlechts- und Selbsterhaltungstrieb zu vergleichen ist. Häufig erweist sie sich sogar stärker als diese beiden Triebe. Selbst beim Durchschnittsmenschen, bei dem der Narzissmus eine solche Intensität nicht erreicht, bleibt noch ein narzisstischer Kern bestehen, der fast unzerstörbar zu sein scheint.

Wenn dies zutrifft, können wir vermuten, dass die narzisstische Leidenschaft genau wie der Geschlechts- und Selbsterhaltungstrieb ebenfalls eine wichtige biologische Funktion hat.

Sobald man diese Frage stellt, ergibt sich auch schon die Antwort. Wie könnte der einzelne Mensch überleben, wenn seine körperlichen Bedürfnisse, seine Interessen, seine Wünsche nicht mit einer starken Energie geladen wären?

Biologisch, vom Gesichtspunkt des Überlebens aus muss der Mensch sich selbst weit wichtiger nehmen als irgendjemand sonst. Täte er dies nicht, woher nähme er dann die Energie und den Willen, sich gegen andere zur Wehr zu setzen, für seinen Unterhalt zu arbeiten, um sein Leben zu kämpfen und sich gegen seine Umwelt durchzusetzen?

Ohne Narzissmus wäre er vielleicht ein Heiliger – aber haben Heilige tatsächlich eine hohe Überlebenschance? Was vom religiös-spirituellen Standpunkt aus höchst wünschenswert wäre  – dass es keinen Narzissmus gäbe – wäre vom weltlichen Standpunkt der Erhaltung des Lebens aus höchst gefährlich.

Teleologisch (
d.h. zielgerichtet) gesehen heißt das, dass die Natur den Menschen mit seinem erheblichen Maß an Narzissmus ausstatten musste, um ihm die Möglichkeit zu geben zu überleben..."

Zitat aus dem Werk von Erich Fromm: "Die Seele des Menschen; Ihre Fähigkeit zum Guten und zum Bösen.

Dieser Aspekt ist absolut wichtig und er gehört unverzichtbar dazu, wenn man das Phänomen Narzissmus als gesellschaftliches Massenphänomen darstellen und begreifbar machen will.  Denn es macht einen großen Unterschied, ob Narzissmus lediglich als individuelle „Fehlleistung“ angesehen wird oder ob wir alle im Rahmen unserer Triebstruktur von ihm betroffen sind.

 

Wenn Narzissmus ein Trieb ist, wie wird er dann befriedigt? Auf diese Frage sollten wir Antworten parat haben. Über unseren Sexualtreib wissen wir inzwischen hinlänglich Bescheid. Wer weiß jedoch, wie er seine narzisstischen Bedürfnisse befriedigen kann? Das wird zwar natürlicherweise bereits gemacht und passiert tagtäglich millionenfach. Allerdings auf unbewusster Ebene und dadurch häufig unkontrolliert und wenig sozialverträglich. Hier ist dringend Aufklärung erforderlich.

 

Außerdem hätte Anna Freud es verdient gehabt, mit ihrem Werk „Das Ich und die Abwehrmechanismen“ zitiert zu werden. Denn wozu brauchen wir die von ihr dargestellten Abwehrmechanismen überhaupt? Doch hauptsächlich um unseren narzisstischen Kern vor Kränkungen zu schützen.

 

Wir sehen also, Narzissmus ist ein sehr komplexes Thema, das es verdient, ausführlich in all seinen Seiten und Facetten ausgeleuchtet zu werden.

 

Den Aspekt der Triebtheorie habe ich versucht mit meinem E-Book "Heute schon deinen Kick gehabt?" abzuhandeln. 

Wer Interesse am Thema Narzissmus hat, wird also bei Reinhard Haller, bei Hans-Joachim Maaz und bei mir fündig.